Vergiftungen und Vergiftungsverdachtsfälle gehören zu häufigen Notfällen im tierärztlichen Alltag. Dabei mutet oft erstaunlich an, was manche Tiere fressen. Das Spektrum der relevanten giftigen Substanzen ist daher breit. Aufgrund der unterschiedlichen toxikologischen Effekte sind auch die Symptome sehr verschieden. Doch in der Praxis gibt es einige typische Anzeichen, bei denen an eine mögliche Vergiftung des Tieres zu denken ist:
Die meisten Vergiftungsfälle bei Tieren betreffen die folgenden Substanzen:
Die gängigen wild oder in Gärten wachsenden Giftpflanzen mit ihrer bekannten Toxikologie wie Fingerhut, Maiglöckchen, Oleander (Herzglykoside), Kirschlorbeer (cyanogene Glykoside), Herbstzeitlose, Eibe, Tollkirsche, Stechapfel, Engelstrompete (Alkaloide), Riesenbärenklau (phototoxische Furocumarine) und Thuja (Terpene) betreffen auch Tiere. Für Vergiftungen von Tieren sind jedoch viele Zimmerpflanzen praktisch bedeutsamer (s. Tab. 1), wobei vielfältige toxikologische Mechanismen relevant sind. Viele beliebte Zimmerpflanzen wirken aufgrund der enthaltenen Oxalate toxisch. Vergiftungen beispielsweise mit Dieffenbachia, Philodendron oder Kalla führen neben einer schweren Schleimhautreizung zur Hypokalzämie, weil Calcium in Form von unlöslichen Oxalatkomplexen ausgefällt wird. Durch Verstopfung der Nierentubuli mit Calciumoxalat-Kristallen kommt es zu Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen. Die für die Hälfte der Hunde tödliche Dosis (LD50) beträgt 1 g Oxalsäure pro kg Körpergewicht bei oraler Aufnahme. Für Meerschweinchen beträgt die LD50 600 bis 900 mg Stammsaft pro Tier. Triterpene aus dem Weihnachtsstern führen wie bei Thujaarten zu Gastroenteritiden oder ZNS-Störungen. Auch die beliebten Azaleen und andere Rhododendronarten sind giftig. Schon ein bis zwei Blätter wirken bei Hunden toxisch. Die enthaltenen Diterpene und Grayano-Toxine können zu Krämpfen und Herzrhythmusstörungen führen. Noch gravierender ist der Effekt von Lilien bei Katzen. Schon nach der Aufnahme eines Blatt- oder Blütenteils treten schwere Vergiftungen auf, die im weiteren Verlauf zum Nierenversagen führen können.
Einen Sonderfall unter den giftigen Pflanzen bildet das Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea). Die wild wachsende Pflanze wurde zeitweilig zur Verschönerung der Grünstreifen an Straßenrändern ausgesät, verbreitet sich nun mancherorts massenhaft und ist nur schwer zu beseitigen. Sie enthält Pyrrolizidinalkaloide (Jacobin, Jaconin, Jacodin, Senecionin, Retrorsin, Seneciphyllin, Senkirkin u. a.). Die akute Toxizität ist praktisch kaum relevant, aber die kumulative Wirkung ist lebertoxisch. Dabei ist die über die gesamte Lebenszeit aufgenommene Menge der Pyrrolizidinalkaloide entscheidend. Denn die Metaboliten der Pyrrolizidinalkaloide reagieren irreversibel mit der DNA und anderen Makromolekülen. Dies schädigt die Leberzellen und kann kumulativ zur tödlichen Seneziose führen. Weidetiere wie Rinder und Pferde meiden die Pflanzen, aber in Heu und Silage können die Tiere das Jakobskreuzkraut nicht erkennen und sind dadurch gefährdet. Auch Erhitzen zerstört die Pyrrolizidinalkaloide nicht. Die Ernte befallener Wiesen darf daher nicht zu Tierfutter verarbeitet werden. Auch der Honig von Bienen, die den Nektar des Jakobskreuzkrauts verwerten, ist mit Pyrrolizidinalkaloiden belastet und sollte daher nicht verzehrt werden.
Wenn Tiere Teile von Wild- oder Zierpflanzen fressen, denken viele Tierbesitzer an eine drohende Vergiftung und beobachten das Tier entsprechend. Dieses Bewusstsein fehlt bei der Aufnahme von Nahrungsmitteln, die für Menschen auf dem Speiseplan stehen und deren giftige Wirkung für Tiere nicht immer bekannt ist (s. Tab. 2). Praktisch wichtige Beispiele sind Avocado, Knoblauch und Zwiebeln. Die ganze Avocadofrucht und die Blätter der Pflanze enthalten Persin, ein Fettsäurederivat, das für viele Tierarten giftig ist. Aus dem Magen-Darm-Trakt wird Persin so schnell resorbiert, dass die maximale Plasmakonzentration schon nach ein bis zwei Stunden erreicht wird. Es führt zum Zusammenschnüren der Mikrotubuli. Bei laktierenden Säugetieren kann eine sterile Mastitis mit Agalaktie entstehen. Nach hohen Persin-Dosen droht bei Säugetieren und Vögeln eine Myokardnekrose. Außerdem kann der hohe Fettgehalt von Avocados bei Hunden und Katzen zu Magen-Darm-Problemen und bei Hunden zur Pankreatitis führen. Es ist nicht bekannt, welche Persin-Menge für einen Menschen problematisch sein kann.
Knoblauch und Zwiebeln sind aufgrund ihres Gehalts an schwefelhaltigen nicht-proteinogenen Aminosäuren (Alliine) für Hunde schon in erstaunlich geringen Mengen gefährlich. Bei der Zerstörung der Pflanzenzellen entstehen verschiedene Disulfide und weitere toxische Substanzen wie S-Methylcystein-Sulfoxid, Natrium-N-Propylthiosulfat und Natrium-2-Propenylthiosulfat. Die schleimhautreizende Wirkung dieser Stoffe führt zu Übelkeit und Erbrechen. Doch der entscheidende toxische Effekt ist vermutlich die oxidative Denaturierung des Hämoglobins, die zur Methämoglobinämie und zu einer hämolytischen Anämie führt. Eine überzeugende Erklärung für die großen Speziesunterschiede ist nicht bekannt. Als Ansatz wird die unterschiedliche Sauerstoffaffinität des Hämoglobins beim Menschen und verschiedenen Tierarten diskutiert. Beim Bärlauch entsteht das ebenfalls hämolytisch wirkende Diallyldisulfid. Die Giftstoffe werden durch Kochen, Trocknen oder industrielle Verarbeitung nicht zerstört. Schon eine frische Knoblauchknolle oder eine mittelgroße Zwiebel können bei einem 10 kg schweren Hund zu Vergiftungssymptomen führen. Hunde der Rassen Akita und Shiba sind besonders empfindlich.
Höchst bedrohlich für Hunde sind Vergiftungen mit Macadamianüssen, Weintrauben und Rosinen. In allen drei Fällen ist der toxikologische Mechanismus nicht geklärt, aber die Effekte sind massiv. Bei einem 4 kg schweren Hund kann schon eine einzige Macadamianuss zu Lahmheit, Steifheit, Tremor oder Hyperthermie führen. 10 bis 30 g Weintrauben pro kg Hund oder 3 g Rosinen pro kg Hund führen zu Erbrechen und Lethargie. Nach ein bis drei Tagen kann das Tier an Nierenversagen sterben.
Ein besonders häufiger Fall im tierärztlichen Alltag sind Vergiftungen von Hunden mit Schokolade oder anderen Kakaoprodukten. Hintergrund ist der bei Hunden verlangsamte Abbau von Theobromin, das Krämpfe, Tachykardie und Arrhythmien verursacht und zum Tod durch Atem- oder Herzstillstand führt. Schon 20 g Zartbitterschokolade pro kg Körpergewicht können für Hunde tödlich sein. Grundsätzlich besteht dieses Problem auch bei anderen Xanthin-Derivaten. Doch bei Coffein in Kaffee oder schwarzem Tee unterscheidet sich die toxische Dosis weniger von den Verhältnissen beim Menschen. Für die Letalität beim Hund spielt neben der Theobromin-Menge auch das Theobromin-Coffein-Verhältnis eine Rolle. Das höchste toxische Potenzial liegt bei einem Theobromin-Coffein-Verhältnis von 5 : 1.
Eine weitere, für einige Tierarten gefährliche Kuriosität stellt der Zuckeraustauschstoff Xylit dar. Erwachsene Menschen metabolisieren Xylit über D-Xylulose zu Fruktose-6-Phosphat. Für Hunde, Frettchen, Kaninchen, Kühe, Ziegen und Paviane ist Xylit toxisch, aber es gilt als ungefährlich für Pferde, Ratten, Rhesusaffen und Katzen. Xylit führt bei Hunden zu einem schnellen, dosisabhängigen Insulin-Anstieg und daraufhin zum Abfall der Blutglukose. Außerdem reduziert Xylit die Glukoneogenese in der Leber. Der toxische Effekt liegt in einer potenziellen Leberzellnekrose, für die zwei Mechanismen diskutiert werden. Einerseits könnten phosphorylierte Zwischenprodukte die zellulären ATP-, ADP- und anorganischen Phosphorreserven erschöpfen, die dann bei lebenswichtigen Zellfunktionen fehlen. Andererseits könnten beim Xylit-Abbau reaktive Sauerstoffverbindungen entstehen, die Membran- und Makromolekül-Schäden verursachen und die Hepatozyten schwächen. Verglichen mit einer äquivalenten Dosis Zucker verursacht Xylit bei Frettchen, Kaninchen, Kühen, Ziegen und Pavianen einen signifikanten Insulinanstieg. Einen vernachlässigbaren Insulinanstieg gibt es bei Pferden, Ratten, Rhesusaffen und Menschen. An Katzen wurden auch nach oraler Einnahme von 1 g Xylit pro kg Körpergewicht keine langfristigen Beeinträchtigungen festgestellt. Damit zeigt das Beispiel auch die großen Unterschiede, die bei der Toxizität zwischen verschiedenen Tierarten bestehen können.
Für Menschen und Tiere gleichermaßen toxisch sind Obstkerne aufgrund ihres Gehalts an Cyaniden. Auch die Wirkung von Alkohol ähnelt sich bei Menschen und Tieren. Die tödliche Dosis für eine akute Vergiftung wird mit 3 bis 8 g pro kg Körpergewicht angegeben. Für einen 6 kg schweren Hund kann demnach schon eine Flasche Bier tödlich sein. Die Behandlung einer Alkoholvergiftung bei Tieren erfolgt symptomatisch. Aktivkohle ist hier nutzlos. Bei zentraler Depression darf wegen der drohenden Aspirationspneumonie kein Erbrechen ausgelöst werden.
Weitere Ursachen für Vergiftungen sind Arzneimittel mit besonderen Effekten bei bestimmten Tierarten. Was für Menschen und manche Tiere ein hilfreiches Arzneimittel ist, kann für andere Tiere schon in geringen Dosen tödlich sein. Aufgrund der großen Verbreitung ist an Acetylsalicylsäure zu denken, das für Tiere nicht als Schmerzmittel geeignet ist. Beim Hund führen 50 mg pro kg Körpergewicht bei dreimal täglicher Gabe zu akutem Erbrechen und gastrointestinalen Blutungen. Leberschäden, Lungen- oder Hirnödem und spätere Organschäden sind möglich. Bei Katzen droht dies bereits nach der Gabe von zweimal täglich 25 mg pro kg Körpergewicht. Für Hunde sind einmal 700 mg Acetylsalicylsäure pro kg Körpergewicht tödlich.
Paracetamol ist besonders für Katzen aufgrund ihrer nahezu fehlenden Glukuronidierungsmöglichkeit toxisch. Bereits 10 mg Paracetamol pro kg Körpergewicht können bei Katzen zu Methämoglobinämie oder Leberversagen führen, 50 mg Paracetamol pro kg Körpergewicht sind für Katzen tödlich. Der erste Therapieansatz ist die Dekontamination durch Auslösen von Erbrechen. Als Antidot wird N-Acetylcystein gegeben (initial: 140 mg intravenös pro kg Körpergewicht, anschließend 70 mg oral pro kg Körpergewicht sechsmal im Abstand von jeweils sechs Stunden), außerdem Vitamin C 30 mg pro kg Körpergewicht oral oder intravenös sechsmal im Abstand von jeweils sechs Stunden.
Die stark verminderte Aktivität der Glucuronyltransferase ist der Grund, weshalb Pyrethroide für Katzen tödlich sind. Bei anderen Säugetieren werden Pyrethroide hydrolysiert oder oxidiert und anschließend durch Sulfatierung oder Glukuronidierung wasserlöslich gemacht – nicht jedoch bei Katzen. Daher wirken Pyrethroide bei ihnen schon in geringsten Dosen toxisch. Die Vergiftung äußert sich durch Zittern, Muskelkrämpfe, Bewegungsstörungen, starken Speichelfluss, Erbrechen oder Durchfall. Der Tod tritt durch Atemlähmung ein. Die tödliche Dosis bei dermaler Anwendung beträgt 100 mg pro kg Körpergewicht. Mit milden Detergenzien und lauwarmem Wasser (heißes Wasser fördert die Resorption, kaltes Wasser verstärkt die Symptome) sollten Fell und Haut gereinigt werden. Eine Vergiftung wird durch symptomatische Behandlung und 20%-ige Lipidinfusion therapiert. Auch wenn Katzen im selben Haushalt wie ein Hund leben, der mit Pyrethroid-haltigen Zubereitungen behandelt wurde, ist Vorsicht geboten. Die Katze sollte keinen direkten Kontakt zu einem solchen Hund haben und auch nicht denselben Liegeplatz nutzen. Das intensive Pflegeverhalten von Katzen verstärkt die Gefahr der Aufnahme von Pyrethroiden weiter. Eine Ausnahme bildet Flumethrin (Seresto®-Halsband), das als einziges Pyrethroid nicht glukuronidiert wird und daher auch für Katzen verträglich ist.
Eine häufige Vergiftungsursache bei Hund und Katze sind ausgelegte Mäuse- oder Rattengiftköder bzw. daran gestorbene Nager, die dann gefressen werden. Cumarin-Derivate der ersten Generation, beispielsweise Chlorophacinon, Coumatetralyl, Pindon und Warfarin sind weniger toxisch als Cumarin-Derivate der zweiten Generation wie Brodifacoum, Bromadiolon, Difenacoum und Flocoumafen. Die wiederholte Aufnahme kleiner Mengen verursacht schwerwiegendere Symptome als die einmalige Aufnahme einer größeren Menge. Cumarin-Derivate hemmen kompetitiv die Vitamin-K1-Epoxidreduktase, die für die Reaktivierung von Vitamin K1 verantwortlich ist. Es kommt zur Gerinnungshemmung und dadurch zu Blutungen, Anämie, Hypothermie, Schock und bei Hirnblutung zu Krämpfen und zum Tod. Antidot ist Vitamin K1, das bei Derivaten der ersten Generation über mindestens sieben Tage, bei Derivaten der zweiten Generation über mindestens drei Wochen gegeben werden muss. Dabei stellt Vitamin K1 erst nach ein bis drei Tagen wieder die Gerinnungsfähigkeit des Blutes her. Bis dahin kann es zu weiteren Blutungen kommen, daher sollte das Tier vorsichtig gehandhabt und überwacht werden.
Anders als Cumarin-Derivate wirken α-Chloralose, ein Kondensationsprodukt von Glukose und dem Hypnotikum Chloralhydrat, und dessen Metabolit Trichlorethanol depressiv auf das Zentralnervensystem. α-Chloralose wirkt zudem stimulierend auf die spinalen Reflexe und führt zur Hyperreflexie. Kleinste taktile oder akustische Reize können dadurch Krämpfe verursachen. Daneben kann eine bronchiale Hypersekretion auftreten, die die Atmung behindert. Die beeinträchtigte Temperaturregulation führt zur tödlichen Hypothermie. Ein spezifisches Antidot gibt es nicht, und die Behandlung kann nur symptomatisch erfolgen.
Das Spektrum weiterer Substanzen, die als Vergiftungsursache bei Tieren in Betracht kommen, ist groß. Eine Auswahl praktisch relevanter Beispiele ist in Tabelle 3 zusammengestellt. Im tierärztlichen Alltag gibt es immer wieder verblüffende Fälle mit ungewöhnlichen Vergiftungsursachen. Darum ist jeder Vergiftungsverdacht ein Notfall. Tierbesitzer sollten sofort einen Tierarzt anrufen. Oft ist schnelles Handeln entscheidend. Denn wenn die Giftaufnahme erst kurze Zeit zurückliegt, kann die Resorption möglicherweise noch entscheidend vermindert werden, indem der Tierarzt Erbrechen auslöst und damit das Gift aus dem Magen entfernt. Beim Telefonat mit dem Tierarzt sollte der Tierbesitzer die Symptome beschreiben. Verdächtige Giftquellen einschließlich Verpackung sollten ebenso wie angefressenes oder erbrochenes Material (in einem Plastikbeutel verpackt) mitgebracht werden. Meistens erfolgt die Therapie jedoch anhand der Symptome. In Tabelle 4 sind Giftstoffe aufgelistet, zu denen spezifische Antidote verfügbar sind. Doch das betrifft nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Vergiftungsfälle. |
Tierärztin Sabine Wanderburg hat in Hannover Veterinärmedizin studiert und hält mit ihrem Dackel Bodo auch Seminare für Apotheker zu veterinärmedizinischen Themen.